„Gib mir hier auf einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers“ (Matthäus, 14,8)
Deutschland, Schwaben
Spätes 15. Jahrhundert
Holz, geschnitzt und farbig gefasst
48 x 45 cm
Provenienz
Privatsammlung Deutschland bis 2022
Literatur zum Vergleich
Brink, Peter van den, Preising, Dagmar, Polfer, Michel (Hrsg.), Blut und Tränen. Albrecht Bouts und das Antlitz der Passion, Ausstellungskatalog Suermondt-Ludwig-Museum Aachen, 8. März bis 11. Juni 2017, Regensburg 2016.
Bart, Barbara, “Gib mir auf einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers”. Die Passion des Johannes zwischen Skulptur und Malerei, in Ausst. Kat. Bouts 2016, S. 42-54.
Woods, Kim W., Cut in Alabaster. A Material of Sculpture and its European Traditions 1330– 1530, Turnhout 2018, S. 347–54.
Arndt Hella, Kroos Renate, Zur Ikonographie der Johannesschüssel‘, in: Aachener Kunstblätter, Bd. 38, 1969, S. 243 – 328.
Die Skulptur zeigt das abgeschlagene Haupt Johann es des Täufers in einer flachen runden Schüssel.
Die Ereignisse um den gewaltsamen Tod des Propheten Johannes, der die Ankunft des Messias voraussagte und als sein Wegbereiter gilt, wird in den Evangelien des Matthäus (14,1-12) und Markus (6,14-29) beschrieben: Herodes Antipas hatte ein Verhältnis mit seiner Schwägerin Herodias begonnen, was Johannes ihm öffentlich vorwarf. Daraufhin ließ ihn Herodes verhaften. Auch Herodias war erzürnt über den Vorwurf des Ehebruches und sann auf Rache. Während eines großen Festmahls hatte ihre Tochter Salome für Herodes getanzt. Dieser war so hingerissen von ihrer Darbietung, dass er versprach, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Angestachelt von der Mutter forderte Salome den Kopf des Johannes, der ihr dann auf einem Teller übergeben wurde. Als sie ihrer Mutter den abgeschlagenen Kopf präsentierte, soll diese aus Rache auf die Stirn des Toten mit einem Messer eingestochen haben. Diese Verletzung ist auch auf der Kopfreliquie des Heiligen zu sehen, die sich noch heute in einem silbernen Reliquiar, auf einer Platte stehend, in der Kathedrale von Amiens befindet.
Mit dem Raub der ursprünglich in Konstantinopel aufbewahrten Kopfreliquie im Jahr 1204, ihrer Überführung nach Frankreich und der Ankunft in Amiens im Jahr 1206 begann der Kult um das Haupt Johannes des Täufers. Er erreichte seinen Höhepunkt im 15. Jahrhundert. Inspiriert von der Präsentation des Schädels in Amiens entstanden zahlreiche plastische Umsetzungen aus Holz, Ton, Stein und Alabaster.
Die plastische Nachbildung des auf einem Teller liegenden, abgeschlagenen Kopfes für Andachtszwecke lässt sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Bereits im 15. und 16. Jahrhunderts waren die sogenannten Johannesschüsseln weit verbreitet. Ihre häufige Erwähnung in privaten Nachlassinventaren bestätigt, dass sie auch der privaten Andacht dienten. Die Johannesschalen wurden aber auch auf Altären platziert, an der Wand aufgehängt bzw. in die Wand eingelassen, wie z. B. der Johanneskopf in St. Willibrod in Utrecht (Meister des Rimini-Altars, Werkstatt, zugeschrieben).
Der Kopfreliquie Johannes des Täufers in Amiens sagte man heilende Kräfte nach. So sollte sie Erleichterung bei Epilepsie, Kopfschmerzen, Halsentzündung, Melancholie und Depression verschaffen. Diese Heilwirkungen übertrug man auch auf die Johannesschüsseln, stellvertretend für die originale Reliquie. Die Schalen wurden außerdem im Rahmen von Mysterienspielen verwendet. Auch bei Prozessionen um den Altar zur Sonnenwende wurden die Schalen mitgeführt, um die Regeneration der Erde und die Fruchtbarkeit der Frauen zu steigern.
Am 24. Juni, der Sommersonnenwende, ist der Geburts- und Gedenktag Johannes des Täufers, exakt sechs Monate vor dem 24. Dezember, dem Geburtstag Christi und der Wintersonnenwende. Entsprechend des Zyklus der kürzer und länger werdenden Tage wurde der Spruch des Johannes gedeutet: “Er (Christus) muss wachsen, ich aber muss abnehmen” (Johannes 3,30). Die Johannesschüsseln wurden in einen kosmischen Kontext gestellt, der viel älter als die religiöse Überlieferung war.
Stilistisch lässt sich die Johannesschüssel in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datieren. Wahrscheinlich ist sie in einer Norddeutschen Werkstatt entstanden.