Deutschland, Hildesheim
Um 1250
Kupferlegierung, Guss mit verlorener Form
27 x 27 cm
Zwei neuere Tusche-Inschriften „1909 E R“ und „J. v S. G.“
Provenienz:
Privatsammlung Bonn (der Überlieferung nach seit den 1920er Jahren)
Das Löwen-Aquamanile ist, wie es der Name schon andeutet, ein Gießgefäß. Die Einguss-Öffnung befindet sich zwischen den Ohren, die Ausgusstülle im Maul, ein sich über den Rücken spannender Drachen dient als Henkel. Solche Geräte wurden im Mittelalter bei der liturgischen wie auch weltlichen Handwaschung einsetzt. Sie waren ausschließlich Luxus- und Prestigeobjekte.
Der große Kopf ist weit nach vom gestreckt und mit einem sog. Mähnenkragen vom Hals und Körper abgesetzt. Unter den plastisch modellierten, leicht zusammengezogenen Stirnbögen sind die großen, spitzovalen Augen mit rundlichen Pupillen zu erkennen. Das Gesicht ist mit feinen, diagonalen Gravierungen und punzierten Bändern verziert. Das Löwenmaul ist geöffnet und zeigt seine Zähne.
Der Mähnenkragen ist in fünf gravierte Bänder gegliedert, die mit Kurzschraffuren und Punzierungen geschmückt sind. Dahinter setzt die Mähne an. Sie besteht aus plastisch gewölbten Zotteln, die feinteilig und in Wellenform graviert sind. Die Beine sind leicht vom Körper nach vorn und hinten gestreckt, so dass der Eindruck einer angespannten Haltung entsteht. Der Schwanz des Tieres schwingt in einer gebogenen S-Form nach oben und endet mit einer gravierten Quaste. Er lehnt sich leicht an den Henkel an, der die Form eines flügellosen Drachen besitzt. Sein Körper ist mit feinteiligen Verzierungen geschmückt und endet mit einem dreiteiligen, sich auffächernden Element.
Das kostbare, im Wachsausschmelzverfahren entstandene Gießgefäß hat seinen Ursprung im Orient. Über den byzantinischen Kulturkreis bzw. die Kreuzzüge nach Europa gekommen, wurden die Aquamanilien im Heiligen Römischen Reich bald festes Repertoire des in der romanischen Plastik geschätzten Bronzegusses.
Verwendung fanden sie in der liturgischen Handwaschung oder aber im profanen Bereich vor Mahlzeiten. Der kunsthistorische Begriff „Aquamanile“ ist eigentlich nicht korrekt. Es handelt sich dabei um die Übertragung des Namens für das Auffangbecken auf das Gießgerät. Viele der Aquamanilien haben die Gestalt von Tieren, wobei der Löwe das beliebteste Motiv war. Daneben schätzte man Greifen, Pferde und Reiter als Gußmotive. Die Hochzeit der Aquamanilien lag zwischen dem frühen 12. und späten 16. Jahrhundert.
Wie im Orient war der Löwe als König der Tiere auch im Abendland positiv konnotiert. Eine entsprechende Identifikation zwischen den Eigenschaften des Tieres, wie Stärke, Mut und Großzügigkeit und dem Nutzer war intendiert. Das Löwen-Aquamanile verkörpert sinnbildlich die idealen Eigenschaften eines höfischen Menschen. Insgesamt sind heute noch circa 120 Löwen-Aquamanilien erhalten.
Ein wichtiges Vorbild für die „Löwenform“ von Aquamanilien sowie die Gießereikunst des 12. Jahrhunderts war das Löwenstandbild in Braunschweig. Bei der 1166 von Heinrich dem Löwen als Symbol seines Beinamens beauftragten Großplastik handelte es sich um den größten figürlichen Hohlguss seit der Antike.
In der Forschung ist man sich über die nicht eindeutige Trennung von sakralen und profanen Objekten aufgrund der Motive einig. Wie lässt sich das in Bezug auf den Löwen verstehen, der sich mit den ritterlichen, weltlichen Motiven doch so gut verträgt? Die christliche Ikonographie kennt die Darstellung des sogenannten „Psalm-Christus“ nach Psalm 91, 13 wo es heißt: „du schreitest über Löwen und Nattern, trittst auf junge Löwen und Drachen.“ So lässt sich das Löwen-Aquamanilie mit Drachenhenkeln auch als Sinnbild für die von Christus überwundenen Mächte des Antichristen und des Teufels sehen und könnte im liturgischen Bereich verwendet worden sein.
Joanna Olchawa, Autorin einer sehr ausführlichen Expertise zu diesem Löwen-Aquamanile, ist sich aufgrund stilistischer Vergleiche sicher, dass dieses Aquamanile aus einer Hildesheimer Werkstatt, wohl Mitte des 13. Jahrhunderts, stammt.
Die Herkunft des Werkes lässt sich nicht eindeutig klären, trotz zweier Tusche-Inschriften („1909 ER“ und „J. v S. G.“). Laut Joanna Olchawa beziehen sich diese nach eindeutig auf die im 19. Jh. tätige Kunsthandelsfirma Julius und Selig Goldschmidt, Frankfurt am Main (mit späteren Filialen in Berlin, Paris und New York). Um 1868 verkaufte die Firma ein mittelalterliches Aquamanile aus der Sammlung Friedrich Hahn, Hannover, das jedoch mit diesem nicht identisch ist. Die Initialen „ER“, die wohl für eine Person oder eine Sammlung stehen, können nicht zugeordnet werden.