Kunst zwischen den Grenzen

Es war einmal…So könnte der diesjährige Sommer-Blog der Kunsthandlung Böhler beginnen. Tatsächlich hat die freundschaftliche Geschäftsbeziehung zwischen einem deutschen Kunsthändler und einem amerikanischen Zirkuskönig, von der wir hier berichten möchten, etwas Märchenhaftes.

Julius Wilhelm Böhler (1883-1966), der älteste Sohn des Firmengründers Julius Böhler, wird 1906 Teilhaber der erfolgreichen und renommierten Münchner Kunsthandlung. In den kommenden Jahren setzt er neue Impulse: 1913 reisen Julius Wilhelm Böhler und sein Geschäftspartner Fritz Steinmeyer in die USA, um Kontakt zu amerikanischen Sammlern aufzunehmen.

Dort lernen sie Anfang der 1920er Jahre dank der Empfehlung des Freundes Albert Keller, Direktor im Ritz Carlton in New York, den amerikanischen Zirkus-Magnaten und Kunstsammler John Ringling (1866-1936) kennen. Ein Glücksfall für den jungen Händler! Julius Wilhelm, genannt „Lulu“, und John verbindet bald eine enge Freundschaft, die nicht zuletzt auf der Kunstbegeisterung des hochvermögenden Amerikaners basiert.

Während Julius Wilhelm Böhler einer äußerst erfolgreichen Kunsthändlerfamilie entstammt, die es in nur innerhalb von 30 Jahren zum preußischen und bayerischen Hoflieferanten sowie zu großem Wohlstand gebracht hatte, ist John Ringling (1866-1936) ein amerikanischer Zirkuskönig. Der Sohn deutscher Einwanderer hat 1884 mit seinen vier Brüdern den „Ringling Brother Circus“ gegründet. Das erfolgreiche Familienunternehmen expandiert schnell und erwirbt 1907 den konkurrierenden Barnum & Bailey Circus.
1905 heiratet John Ringling die schöne junge Mable Burton, vermutlich eine ehemalige Zirkuskünstlerin.

Ab 1909 verbringen beide die Wintermonate im milden Klima Floridas. Im Küstenort Sarrasota erwerben sie in den kommenden Jahren weite Ländereien. Sofern es die Geschäfte erlauben, unternimmt das Paar lange, geschmacksbildende Reisen nach Europa. Zu dieser Zeit beginnt auch die Sammeltätigkeit der Ringlings. Die Vorlieben des Paares entsprechen dem Kunstgeschmack der vermögenden Oberschicht der Zeit. Sie erwerben italienische Renaissance- und Barockgemälde, deutsche Tafelmalerei, Antiquitäten und Architektur- artefakte. Sicherlich will sich der Kunstsammler und Connaisseur Ringling durch diesen Zeitvertreib auch gesellschaftlich nobilitieren, denn als Zirkuskönig gilt er als neureich.

1924 beauftragt das Paar den angesagten New Yorker Architekt Dwight James Baum mit dem Bau einer prachtvollen Villa im Stil der venezianischen Gotik am Küstenstreifen von Sarrasota. Das Anwesen erhielt den Namen „Ca d´Zan“ (venezianisch für „Johns Haus“) und soll der repräsentative Rahmen für die Kunstsammlung Ringlings werden. Gleichzeitig trägt sich Ringling aber schon mit dem Gedanken, ein privates Museum zu errichten, gleichermaßen als prestigeträchtiges Denkmal des kunstinteressierten Paares.

1925 befindet sich Ringling auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Inzwischen Eigentümer und Leiter der beiden großen amerikanischen Zirkusunternehmen Ringling Brothers-Barnum und Bailey geworden, widmet ihm das TIME-Magazin die Titelgeschichte, sein Portrait prangt auf dem Cover.

Im Frühling 1926 erwirbt Ringling eine Serie von Kunstobjekten, die zu den bedeutendsten Exponaten seines geplanten Museums gehören, Darunter zahlreiche Gemälde, Antiquitäten sowie zwei Zimmerausstattungen der Astor-Auktion in New York, die aus dem Wohnhaus der Familie stammten. Auf Anraten von Böhler ersteigert er vier große Rubenskartons, eine Auftragsarbeit von Erzherzogin Isabella Clara Eugenia von Habsburg (1566-1633). Sie waren Bestandteil einer Auktion in London mit Kunstwerken aus der Sammlung des Herzogs von Westminster. Welch eine Trophäe für das einstige Immigrantenkind! Die Ankäufe aus der Astor-Auktion und die darauffolgenden Erwerbungen von bedeutenden, historisch gewachsenen europäischen Sammlungen in den späten 1920er Jahren stellen eine beispiellose und einmalige Gelegenheit für Ringling dar, in einer kurzen Zeit herausragende Kunstwerke zu erwerben. Die Presse machte Ringlings ambitionierte Ankäufe durch Schlagzeilen wie „Circus King Turns to World of Art“ oder „Circus Man Buys Big Canvas for His Florida Collection“ publik.

Ringling intensiviert nach Mables Tod seine Sammelaktivität. Er reist anlässlich der Auktion mit Kunstobjekten aus der Sammlung des Earl von Marlborough nach England und kehrt mit vielen Gemälden, u.a. von Il Guercino, Poussin und Bourdone zurück. In diesem Jahr erwirbt er aber auch eine große Zahl Bilder niederländischer Meister. Von 1925 bis 1931 kauft Ringling mehr als 400 Gemälde und eine große Zahl kunsthandwerklicher Objekte, die meisten dank Julius Wilhelm Böhlers Expertise und Vermittlung.

Über den Ankauf des Gemäldes von Peter Paul Rubens „Pausias und Glycera“, 1612-1615, berichtete sogar das Magazin Art Digest.

Nicht zuletzt ermutigt durch die erfolgreiche Zusammenarbeit mit John Ringling richtet Julius Böhler mit seinem Schweizer Partner Fritz Steinmeyer 1928 im Hotel Ritz Carlton in New York eine feste Geschäftsadresse für die Firma Böhler und Steinmeyer INC ein.

1929 übernimmt Ringling die American Circus Corporation, selbst für den Zirkuskönig eine große Investition. Verhängnisvoll insofern, als dass im Oktober der folgenschwere Börsencrash an der Wall Street und dadurch bedingt die Weltwirtschaftskrise folgen. Ringling verliert in den Jahren darauf nahezu sein ganzes Vermögen, kann aber Ca´d´Zan, das Museum sowie seine Kunstsammlung letztendlich retten. Auch privat verlässt Ringling das Glück: Die 1930 mit Emily Haag Buck geschlossene Ehe verläuft unglücklich und wird bald wieder aufgelöst.

1929 ist auch der Zenit von Lulus und Johns Freundschaft. Nach dem Börsencrash und den finanziellen Schwierigkeiten, die damit verbunden waren, leiden Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen Berater und Sammler zunehmend unter Spannungen.

1931 wird das 21 Galerieräume umfassende Museum eröffnet, allerdings ohne die wissenschaftliche Publikation, die sich Ringling so sehr von Böhler gewünscht hat. Es hatte Schwierigkeiten bei der Erstellung geeigneten Fotomaterials gegeben, die wissenschaftliche Bearbeitung der Gemälde durch europäische Experten, wie z.B. die Wunschautoren Max Friedländer (1867-1958), Direktor der Berliner Gemäldegalerie oder Hermann Voss (1884-1969), stellvertretender Direktor des Kaiser-Friedrich-Museums in Berlin, kann nicht realisiert werden. Böhler, der durch die Veröffentlichung eines kunsthistorisch qualitativ nur unzureichenden Kataloges um seine Reputation fürchtet, schlägt vor, einen kleine Sammlungsübersicht mit den 75 wichtigsten Werken ohne Abbildung herauszugeben. Aber selbst dazu kommt es nicht mehr. Aus terminlichen Gründen kann er der mehrmals wiederholten Einladung Ringlings zur Eröffnung des Museums nicht folgen. Auch der Händler steckt in finanziellen Schwierigkeiten: Böhler bittet Ringling inständig um Bezahlung seiner Dienste für die vorangegangenen Jahre. Selbst sein Wohnhaus muss er verkaufen.

Im selben Jahr endet die Zusammenarbeit von John und Lulu, die freundschaftlichen Bande lockern sich. Erst im Jahr 1936 war es Ringling möglich, Böhlers Forderungen begleichen.

Als John Ringling im selben Jahr im Alter von 70 Jahren stirbt, vermacht er Museum, Kunstsammlung und die umfangreiche Bibliothek dem Staat Florida. Zehn Jahre später kann eine Einigung mit Ringlings Gläubigern getroffen werden. 1946 öffnet das Museum seine Tore für die Öffentlichkeit, der Staat Florida erfüllt damit endlich seinen Stiftungsauftrag. 1999-2002 finden umfangreiche Restaurierungsarbeiten statt, so dass das „Ringling“ und Cà d´Za heute in neuem Glanz erstrahlen.

Durch seinen Bestand kostbarer und bedeutender europäischer Kunst zeugen beide Gebäude noch heute von der intensiven und vertrauensvollen Partnerschaft zwischen dem amerikanischen Unternehmer und dem deutschen Kunsthändler. Das Vermächtnis von John und Mable Ringling ist darüber hinaus ein illustres Beispiel transatlantischer Sammlergeschichte des frühen 20. Jahrhunderts.


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